Leihen in der Kaufgesellschaft

„Nutzen statt Besitzen“, „Kaufst du noch oder leihst du schon?“, „Mehr Sein, weniger Haben“ – solche Slogans haben ihre Berechtigung, wie aber sieht es in der Praxis aus?

In der Praxis sind alle Mitglieder – männliche wie weibliche und andere – einer Gesellschaft durch ihr Leben in dieser Gesellschaft an diese angepasst. Menschen werden nicht als Konsumenten geboren, sondern durch ihre Sozialisation und langjährige Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu solchen „gemacht“. Schließlich wird es eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit, zu arbeiten, um zu kaufen. Klar: Alle machen das so. Also muss es normal und kann nicht komisch sein.

Street Art in Glasgow. Titelbild oben: Banksy

In den 1920ern wurde in Warenhäusern gekauft, in den 2010ern auf Amazon. Geblieben ist: Der Kauf. Aber warum eigentlich? Die meisten Dinge werden gekauft, um sie anschließend nutzen zu können. Wer nämlich etwas kauft, kauft zugleich das Recht, das Produkt alleine und jederzeit nutzen zu können. Das macht bei einigen Produkten tatsächlich Sinn (z.B. Unterwäsche, Zahnbürste, Küchentisch, Smartphone), bei anderen – vermutlich sogar den meisten – dagegen weniger. Denkt man einmal darüber nach, was man wirklich in seinem Leben benötigt und darum besitzen muss, kommt man wahrscheinlich auf rund 150 Gegenstände (Kleidungsstücke nicht eingerechnet). In einem durchschnittlichen Haushalt befinden sich dagegen mindestens 1.500 Gegenstände. Viele dieser Dinge benötigt man nur gelegentlich, andere überhaupt nicht mehr.

Und nun überschlagen wir das mal: Deutschland besteht u.a. aus rd. 45 Millionen Haushalten. Sollten in jedem von ihnen 1.000 Dinge mit geringen subjektivem Nutzen lagern, summiert sich das auf 45 Milliarden Dinge – und das ist dann schon ein bissel komisch.

Die Dinge wurden (und werden) gekauft, weil das Kaufen von Dingen eine feste Gewohnheit ist und bislang eine Alternative fehlte. Letztere ist mit einer Bibliothek der Dinge (zumindest in Bochum und anderen Städten) nun da. Geblieben aber ist die Gewohnheit, Dinge zu kaufen. Noch nicht vorhanden ist dagegen die Gewohnheit darüber nachzudenken, ob man ein Ding wirklich kaufen muss oder ob man es nicht besser leihen könnte.

Nutzer, die eine Werkzeug-Bibliothek oder Bibliothek der Dinge betreten hatten, und plötzlich all die Dinge sahen, die sie prinzipiell nutzen können, ohne sie bezahlen zu müssen, erlebten einen besonderen, Augen öffnenden Moment. In diesem erschien ihnen das bisher Vertraute plötzlich merkwürdig und ihr Blick wurde für eine neue Perspektive frei, die ihnen zeigte, dass „es“ auch anders geht. Hier berichten zwei Betreiber der neuen Bibliotheken in Toronto und Baltimore von den Erfahrungen ihrer Mitglieder:

Lawrence: „Ich denke, dass die gemeinsame Nutzung von Bibliotheken der Dinge eine Einstiegsdroge ist, um über eine völlig neue Wirtschaft zu sprechen. Eine völlig neue Art, die Gesellschaft zu orientieren. Denn es ist so einfach, so leicht. Die Leute sehen es. Und es ist auch gut, denn durch die Teilnahme an diesem Projekt, sei es, um Geld zu sparen, zu entrümpeln, zu minimieren oder was auch immer, tragen sie in der Regel zu einem größeren Ziel bei: Es geht um das Klima, um den Menschen, um die Zivilisation, die Artenvielfalt.“ (Lawrence, Toronto)

Najine: „Und glauben Sie, dass das Teilen an Orten wie einer Werkzeug-Bibliothek dazu beitragen könnte, alternative Eigentumsmodelle in unserer Gesellschaft zu etablieren?“

Piper: „Oh mein Gott, ja! Vollständig! Wissen Sie, mit Werkzeugen ist es einfach, weil sie etwas sind, das jeder irgendwann in seinem Leben braucht. […] Ich möchte es nicht kaufen. O.k., ich werde der Werkzeug-Bibliothek beitreten und es einfach ausleihen. Und dann, ganz plötzlich – es ist wie eine Einstiegsdroge – sehen sie, was die Möglichkeiten ihrer Mitgliedschaft sind.“

Najine: „Sie sind die zweite Person, die diesen Begriff ‚Einstiegsdroge‘ benutzt.“

Piper: „Das ist es absolut. Es ist wirklich der Schlüssel zum Leihmodell. […] Und das ist eine Sache der Generationen: Meine Generation und die jüngere bricht definitiv dieses verkrustete Muster auf [gemeint ist: Nutzen durch Besitzen] und beginnt zu verstehen: ‚Oh, so muss es nicht sein! Und ich will nicht, dass es so ist. […] Es geht um die Idee, dass man nicht alles besitzen muss.“ (Piper, Baltimore)

Yeah! Nun können Sie Ihre eigenen Erfahrungen machen…   

Zitate aus: Najine Ameli (2020). Die neue Share Economy: Bibliotheken der Dinge. transcript Verlag.

Im Buch finden sich noch weitere Zitate, z.B. die eines Mitglieds einer Tool-Library: „Ich weiß noch, als ich das erste Mal davon hörte, hielt ich es für eine großartige Idee. Man müsste das Zeug nicht kaufen. Man müsste das Zeug nicht lagern. Und man müsste nicht jedes einzelne Werkzeug extra kaufen. Ich hielt das einfach für eine tolle Idee.“

Auschnitt aus dem rustikalen Sharing Depot, Toronto
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